Best Practice: So geht Innovation
Der Innovationsdialog Handwerk in NRW identifiziert fortlaufend bestehende innovative Modelle und Betriebe in Nordrhein-Westfalen als gute Beispiele. Sie sind die Vorbilder dafür, wie gute Ideen in innovativen Lösungen münden.
Den Menschen in den Mittelpunkt stellen
Best Practice Betrieb »Steinbildhauerei Vincent«
In der Werkstatt der Steinbildhauerei Vincent meißelt ein junges Mädchen fleißig ein Muster in einen beigen Stein, während nebenan der Azubi für seine kommende Abschlussprüfung trainiert. Während der Wartezeit auf den Betriebsinhaber mustern wir die verschiedenen Grabmäler und Skulpturen, die überall verteilt sind. Ganz unterschiedliche Muster sind hier zu sehen, von den klassischen Grabkreuzen und -steinen über überdimensionierte, ineinander verschlungene Formen, die so auch in einem Museum für moderne Kunst Platz finden würden, zu gemeißelten Skulpturen. »Jede Gesellschaft gedenkt ihrer Toten anders, das macht ihre jeweilige Kultur aus. Unabhängig von kulturellen Entwicklungen ist es wichtig, einen Platz zu haben, um verstorbenen Freunden und Familienmitgliedern zu gedenken und sich an sie zu erinnern«, erläutert Timothy C. Vincent, der Hinterbliebenen dafür handgemachte, individuelle Grabmäler anbietet.
Re- und Upcycling
Auffällig ist, dass sich auf dem Gelände auch bereits genutzte, ältere Grabsteine finden, erkennbar an den eingemeißelten Lebensdaten. Oftmals würden diese, nach Ablauf der Ruhezeit nun nicht mehr gebrauchten Grabsteine, vom Friedhof entsorgt und zu Straßenschotter verarbeitet. Für Timothy C. Vincent keine Option, da Grabmäler oftmals individuelle Erinnerungen an die Verstorbenen widerspiegeln. Genau das versucht der 56-Jährige mit seinen Arbeiten zu erreichen. Dabei setzt er auch auf das Re- und Upcycling von nicht mehr benötigten Grabsteinen. Um diese Idee zu verbreiten, hat er die Netzwerk-Initiative recycling-grabstein.de ins Leben gerufen. Dies ist nur eine von mehreren Initiativen auf Betriebsebene in ganz Deutschland, die Vincent gegründet hat und die alle dasselbe übergeordnete Ziel haben: Nachhaltigkeit im Handwerk aufzeigen und fördern. Der Steinmetz möchte aufklären, er möchte inspirieren. Für ihn steht fest, dass der Klimawandel das Leben verändern wird. Erste Auswirkungen konnte er selbst bereits spüren: Während der Flutkatastrophe im Juli 2021 stand das Wasser, welches glücklicherweise keine größeren Schäden verursachte, auf seinem Grundstück. Dieses wird schon seit Langem ausschließlich mit Ökostrom versorgt, in Kürze wird dies um eine PV-Anlage ergänzt.
Nachhaltigkeite Ausrichtung wird großgeschrieben
Doch damit nicht genug: Seine Steinbildhauerei war einer der ersten Handwerksbetriebe, der einen Nachhaltigkeitsbericht nach dem deutschen Nachhaltigkeitscodex verfasst hat. In Seminaren klärt er bundesweit an Meisterschulen über eine nachhaltige Ausrichtung von Handwerksbetrieben auf.
Weiterhin ist die Steinbildhauerei für die Implementierung des ZNU-Standards »Nachhaltiger Wirtschaften«, entwickelt von der Privatuniversität Witten/Herdecke anhand der 17 Ziele der Vereinten Nationen, nach einer externen Auditierung durch den TÜV Rheinland zertifiziert, das bislang kleinste Unternehmen und der einzige Handwerksbetrieb mit einem zertifizierten Nachhaltigkeitsmanagementsystem. Dabei war die Umsetzung gar nicht so aufwendig:
»Die Informationen, die ich für das ZNU-Verfahren zusammengetragen habe, habe ich an anderer Stelle schon einmal gesammelt. Klar war ich dazu intrinsisch motiviert, aber ich denke, dass dies auch für andere Betriebe machbar ist«, so der Steinmetz.
Die Kooperation mit der Universität, …
… für die er letztes Jahr mit dem Seifriz Sonderpreis »Nachhaltiges Wirtschaften« ausgezeichnet wurde, hat das Ziel, die verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekte in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales für seine Kundschaft sichtbar zu machen.
Das Zertifikat belegt beispielsweise, dass in den Lieferketten für seine Produkte keine Menschenrechtsverletzungen stattfinden, weshalb er nur mit Steinen aus dem europäischen Wirtschaftsraum arbeitet. Dies führt weiterhin auch zu einem geringeren CO2-Fußabdruck.
»Das Zauberwort heißt Short-Distance-Economy. Ich arbeite fast nur mit regionalen Partnern, was nebenbei dazu führt, dass sich die Transportkosten gerade im Vergleich zu Fertigsteinen aus Fernost geringhalten«, erklärt Vincent.
»Und hier ist keine individuelle Gestaltung durch den Kunden möglich und der ganzheitliche Wert des Grabsteins ist ein anderer. Rein rechnerisch ist wahrscheinlich die Marge höher, aber die Wertschöpfung ist eine andere, denn die Preise sagen nicht die Wahrheit über die externen Kosten, die die Gesellschaft zu tragen hat.«
Durch den engen Kundenkontakt und seine Materialauswahl …
… sei sichergestellt, dass die Erinnerungsorte zu den jeweiligen Verstorbenen passen, etwa wenn er für einen ehemaligen Bergmann ein Grabmal aus Ruhrsandstein anfertigt. Diesen bekommt er aus dem nahen Steinbruch, den er am Vormittag des Tages schon mit der jungen Schülerin besucht hat, um ihr das Material näherzubringen. In genau diesem Steinbruch entdeckte auch er selbst seine Leidenschaft für die Arbeit am und mit dem Stein. Nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker und dem abgeschlossenen Studium der Werkstofftechnik, arbeitete er hier in verschiedenen Funktionen. Nach fünf Jahren absolvierte er dann die Umschulung zum Steinbildhauer. Als er sich selbstständig machte, war ihm ein Startkredit mit den Worten »das hat keine Zukunft«, nicht vergönnt. »Ich arbeite aktuell also in der Nicht-Zukunft«, lacht Vincent, nur um danach wieder ernst zu werden: »In unserer Arbeitswelt dreht sich vieles nur um Effizienz. Darunter leidet das Handwerk, denn der Mensch in seinem Gewerk ist verloren gegangen, Arbeit an sich wird unsichtbar und die Wertschöpfung bleibt auf der Strecke.« Vincent selbst verfolgt daher einen anderen Ansatz: Die Arbeit soll gesehen werden, seine Werkstatt ist prinzipiell offen, sodass jederzeit eine enge Abstimmung mit Kunden vorherrsche und dieser über alle Schritte auf dem Laufenden gehalten werden kann.
Im Handwerk steht traditionell immer der Mensch im Mittelpunkt
Nicht nur das Ergebnis, das Werk, welches der Mensch mit seinen Händen schafft, war das Wichtigste, sondern auch der Weg, die Erschaffung des Werkes an sich durch menschliche Hände. An diese Tradition müsse sich zurückerinnert werden, statt nur auf Effizienz zu setzen. So könnte die Arbeit an sich wieder einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft bekommen, das Leben würde nicht außerhalb der Arbeit stattfinden und gerade das Handwerk könne wieder für Nachwuchs attraktiver werden. Eine Work-Life-Balance werde so überflüssig, da der Mensch sich wieder als werktätiger Mensch in der Arbeit entfalte. Gleichzeitig sollte das Handwerk auf Konsistenz, also eine Hinwendung zu wiederverwertbaren Materialien und regenerativen Energien, und Suffizienz, die Begrenzung von Energie- und Materialverbrauch, setzen. Timothy C. Vincent fasst dies so zusammen: »Alles, was gut für den Menschen ist, ist auch gut für das Produkt. So sollte das Produkt genauso wie der Mensch im Einklang mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen stehen.«
Nachhaltige Motivation
Diesen Ansatz verfolgte Vincent für eine eigene Innovation, den sogenannten Ewigkeitsbrunnen für Urnenbestattungen: Werden nach der abgelaufenen Ruhezeit Urnengräber zur Wiederbenutzung geleert und die Asche oftmals anonym beigesetzt, so bietet sein Produkt eine Grabstätte, in der 500 bis 3.000 Urnen aus vergänglichem Material, z.B. Ton, ewig verwahrt werden können.
»So werden die Menschen nicht vergessen und auch die vierte und fünfte nachfolgende Generation kann ihre Vorfahren besuchen.« Auch hier zeigt sich Vincents nachhaltige Motivation. Denn Kultur ist als vierte Säule ebenfalls Teil des Nachhaltigkeitscodex, dem er sich verpflichtet hat.
Mehr Informationen zum Unternehmen unter: www.steinbildhauerei-vincent.de/.