13.09.2023 | Experteninterview mit Dr Jens Prager, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld
Die Chancen der Digitalisierung nutzen
Als Federführer für das Thema Digitalisierung beim WHKT möchte Dr. Jens Prager das Handwerk mit Hilfe einer konsequenten Digitalisierungsstrategie zu einem Antreiber der wirtschaftlichen Entwicklung machen. Im Gespräch beschreibt er die Chancen und Herausforderungen, die mit diesem Prozess einhergehen.
Der Experte
Der promovierte Ökonom Dr. Jens Prager ist seit 2017 Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld. Als Leiter des Arbeitskreises »Digitalisierung« des WHKT sieht er an vielen Stellen im Handwerk noch Aufholbedarf, gerade bei kleinen Betrieben. Deswegen sind für ihn fördernde politischen Rahmenbedingungen ebenso entscheidend wie die Überzeugungsarbeit im Handwerk selbst, um die Digitalisierung nicht als Bedrohung, sondern als eine Gestaltungschance für das Handwerk zu sehen.
Herr Dr. Prager, auf welche Veränderungen stellt sich das Handwerk in Sachen Digitalisierung in den nächsten Jahren ein?
Die Digitalisierung ist neben der nachhaltigen Transformation und dem demografischen Wandel das zentrale Thema der nächsten Jahre. Dabei überwiegen aus meiner Sicht klar die Chancen. Alle Betriebe können digitale Instrumente nutzen, um ihre Verwaltung, Kommunikation, Buchhaltung und Materialbestellung zu vereinfachen. Dadurch entstehen Freiräume, die sie dann produktiv für ihr Kerngeschäft nutzen können. Auch bei der handwerklichen Arbeit können Drohnen, 3D-Drucker oder intelligente Messsysteme und Maschinen dazu beitragen, die Arbeit vieler Handwerkerinnen und Handwerker zu erleichtern. Fakt ist: Der Wandel hat längst begonnen. Wir unterstützen die Betriebe dabei, zum Beispiel bei der Entwicklung einer individuellen Digitalisierungsstrategie.
Sie haben an der »Vision einer Zukunftskammer« in Ostwestfalen-Lippe intensiv gearbeitet. Wie können oder sollten demnach die technologischen Möglichkeiten die Handwerksorganisationen selbst verändern?
Der technologische Wandel verändert nicht nur die Arbeit unserer Mitgliedsbetriebe, sondern fordert uns auch als Handwerkskammer heraus. Wir haben uns auf den Weg gemacht, die Handwerkskammer kundenorientiert, digital und handwerkspolitisch neu aufzustellen. Im Vordergrund steht dabei, die Interessen unserer Mitgliedsbetriebe zeitgemäß und effizient zu vertreten. Dazu zählt beispielsweise, unsere Dienstleistungen möglichst digital anzubieten, das Beratungsangebot an die Herausforderungen der Zeit anzupassen und die Interessen des Handwerks gegenüber Politik und Gesellschaft konsequent zu vertreten. Dabei setzen wir auf eine moderne Unternehmens- und Führungskultur bei uns in der Handwerkskammer, aber auch im gemeinsamen (Daten-)Austausch mit den Kreishandwerkerschaften und Innungen.
Intelligente Algorithmen, Mensch-Maschine-Schnittstellen sowie sensorgesteuerte Maschinen und Prozesse halten immer mehr Einzug in die betriebliche Praxis, auch von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), aufgrund der zunehmenden Digitalisierung. In welchen Bereichen sehen Sie die bedeutendsten Veränderungen mit einer unmittelbaren Relevanz für das Handwerk?
Die Anwendungsmöglichkeiten digitaler Instrumente sind zahlreich: Sowohl in den Bereichen Kommunikation und Marketing, Produktion und Dienstleistung wie auch Ausbildung und Qualifizierung gibt es eine Bandbreite an Lösungen für Betriebe. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Thema »Künstliche Intelligenz« erst am Anfang steht und sich rasant in den Arbeitsalltag von Handwerksbetrieben aller Gewerke und Größen einfügen und diesen Betrieben Wettbewerbsvorteile verschaffen wird.
Man hört und liest seit Jahren viel über alle möglichen Anwendungen der Digitalisierung, aber eher wenig über Cyber-Sicherheit. Dabei scheinen Cyberangriffe auf Unternehmen schon alltäglich zu sein und bremsen durch die wahrgenommene Gefahr bereits jetzt wichtige Entwicklungen. Was empfehlen Sie Handwerksbetrieben und Handwerksorganisationen bezüglich der IT-Sicherheit?
Viele Betriebe stellen sich zunehmend digital auf, um ihre Geschäftsprozesse zu vereinfachen und zu automatisieren. Das ist richtig und sinnvoll, doch mit steigendem Digitalisierungsgrad erhöht sich auch die Gefahr von Cyberbedrohungen. Dabei sind Cyberangriffe kein Phänomen, das nur Großkonzerne betrifft. Auch für Handwerksbetriebe sind Informationen und Daten ein zentraler Wirtschaftsfaktor, der geschützt werden muss. Wichtig ist daher, das Thema ernst zu nehmen, eine Sicherheitskultur zu etablieren und sich über passgenaue Lösungen für den Schutz und die Sicherung der betrieblichen Daten zu informieren. Wir haben die organisationseigenen Beraterinnen und Berater im Rahmen des vom NRW-Wirtschaftsministerium geförderten Projektes Handwerk-Digital.NRW zu Fragen von IT-Sicherheit und IT-Recht qualifiziert. Ich appelliere an alle Betriebe: Nehmen Sie das Thema IT-Sicherheit im Betrieb unbedingt ernst. Und nehmen Sie Kontakt zu uns auf, wenn Sie sich zu diesem Thema beraten lassen möchten.
Bei jeder größeren technologischen Veränderung wird die Frage gestellt, ob man neue Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsberufe benötigt. Welche Erfahrungen und welche Zielvorstellungen haben Sie, damit die beruflichen Handlungskompetenzen im Handwerk mit der technologischen Entwicklung Schritt halten können?
Viele Berufsbilder, auch im Handwerk, befinden sich im Wandel, Grenzen zwischen Gewerken lösen sich sukzessive auf. Die Kundinnen und Kunden erwarten ganzheitliche Lösungen, sodass schnittstellenübergreifendes Denken für Handwerkerinnen und Handwerker unabdingbar ist. Für das Handwerk ist wichtig, stets zu prüfen, ob die derzeitigen Lehrpläne noch den Anforderungen des Marktes Rechnung tragen. Mit dem seit 2021 neuen Ausbildungsberuf »Elektroniker/in für Gebäudesystemintegration«, der hier am Campus Handwerk in Bielefeld überbetrieblich ausgebildet wird und für den auch eine eigene Fachklasse am hiesigen Berufskolleg eingerichtet werden konnte, haben die Betriebe und Organisationen des Handwerks gezeigt, dass sie neue Bedarfe identifizieren und mit der technologischen Entwicklung Schritt halten können. Da die Halbwertszeit von Fachwissen immer weiter abnimmt, ist auch der Besuch von Fort- und Weiterbildungen in vielen Gewerken wichtig. Hier bieten wir in unserem Bildungszentrum ein breites Angebot für Nachwuchs- und Fachkräfte an.
Wie sähe für Sie ein Quantensprung für die Digitalisierung im Handwerk aus?
Viele der gegenwärtigen Technologien haben das Potenzial, die Arbeit in bestimmten Gewerken massiv zu verändern. Neben den bereits erwähnten Potenzialen der Künstlichen Intelligenz denke ich dabei an die Möglichkeiten des Building Information Modelling (BIM). Durch digitales Aufmaß und 3D-Visualisierung können Planungsverfahren beschleunigt, Kosten gespart und Daten schnell weiterverarbeitet werden. Einige Betriebe, auch in unserem Kammerbezirk, nutzen diese Technik bereits hochprofessionell. Von einem Quantensprung würde ich aber erst sprechen, wenn den zunehmend digital aufgestellten Betrieben auch Behörden gegenüberstehen, die sämtliche Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse digital und medienbruchfrei anbieten.