29.08.2023 | Interview mit Katrin Terwiel, Human Ressources Executive als Vice President Diversity, Equity & Inclusion bei der Deutschen Telekom und selbstständige Beraterin
New Work: Chancen für das Handwerk
New Work steht für neue Arbeitskonzepte und ein Umfeld, das Transparenz, Kooperation und Kreativität fördert. Zielgruppe sind dabei vor allem die so genannten Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter. Große Betriebe und Start-ups gelten als Vorreiter, die Arbeitsräume und Arbeitszeiten neu gestalten. Doch New Work ist nicht nur für die Großen interessant. Es beschreibt, was Kunden und Mitarbeitende künftig von einem Unternehmen erwarten – auch im Handwerk.
Die Expertin
Katrin Terwiel ist diplomierte Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin. Die Mission der 36-jährigen Kölnerin ist es, einen Beitrag zu mehr Gesundheit, Diversität und Vitalität für Unternehmen, Teams und Einzelpersonen zu leisten. Dabei sieht sie eine enge Verknüpfung zwischen individuellen psychologischen Faktoren und Aspekten der Arbeitsorganisation. Ihr Ziel ist es, diese beiden Seiten in innovativer Form zusammenzubringen und Menschen und Firmen dabei den Rücken zu stärken.
Frau Terwiel, mit welchen Themen beschäftigen Sie sich konkret in Ihrer Arbeit?
In meiner Telekom-Rolle, die ich als 60 Prozent-Stelle ausfülle, geht es vor allem darum, dass Menschen im Unternehmen sich wohl und sicher fühlen, unabhängig von ihrem Hintergrund. Dabei legen wir besonderes Augenmerk auf die Demografie. Wichtig ist eine Analyse von systemischen Hürden in Prozessen und Produkten sowie ein Abbau dieser Hürden, sodass alle ihr volles Potenzial entfalten können. Es gilt, individuelle Lebenswirklichkeiten wahrzunehmen und dafür passende Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, denn Arbeitgeber bewerben sich mittlerweile bei Arbeitnehmenden. Das war früher einmal umgekehrt.
Ein Aspekt, wie ich New Work verstehe: Wir schauen, was der einzelne Mensch braucht, um glücklich und produktiv sein zu können – zum Beispiel bei Teilzeitmitarbeitenden in Führungsrollen. Die Frage ist, wie sich Teilzeit am besten organisieren lässt, wenn man ein Projekt leitet oder ein Team führt. Bei mir ist das beispielsweise ein Job-Sharing-Modell. Ich habe eine Job-Sharing-Partnerin, mit der ich ein Führungstandem bilde. Ich schätze, dass ich damit aktuell zu unter einem Prozent der zum Management zählenden Führungskräfte (Executives) in Deutschland gehöre, die ein solches Teilzeit-Modell leben. Das erlaubt mir, gleichzeitig selbstständig arbeiten zu können. Im Sinne von New Work ist das ein gutes Beispiel für Modelle, die dafür sorgen, dass es Menschen in ihrer Arbeit gut geht und sie sich wohlfühlen.
Dieser Aspekt hat mich auch in meinem Vorläuferjob bei Zalando begleitet. Dort habe ich Vollzeit gearbeitet und das Gesundheitsmanagement geleitet. Die Mission war auch hier, unsere Arbeitsfähigkeit zu stärken und dafür sorgen können, dass wir nachhaltig gesund sind.
Im Rahmen meiner Selbstständigkeit berate ich Unternehmen darin, wie sie sich inklusiver verhalten können, wobei sich Inklusion hier auf alle Dimensionen von Diversity – beispielsweise Religion, sozialer Background oder Alter – bezieht. Zudem arbeite ich mit Führungskräften zusammen und unterstütze diese in der Bewältigung von Stresssituationen und Identitätskrisen. Auch das ist in gewisser Weise New Work, denn es geht ja letztlich darum, was die Menschen wirklich wollen. In einem Coaching können Menschen anhand ihrer Werte und Persönlichkeit ihren eigenen Handlungsraum ausloten und sich passende Ziele setzen. Oft brauchen sie in einer Welt voller alter und neuer Konventionen eine derartige Rückenstärkung.
Was genau bedeutet es, in einem großen Konzern Diversity und Betriebliches Gesundheitsmanagement umzusetzen?
Das wird mittlerweile von den Vorständen und Geschäftsführungen stark unterstützt, weil die meisten Konzerne erkannt haben, wie wichtig die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und ein gesundes Arbeitsklima sind. Zugleich gewinnt das Thema auch im B2B- und Investor-Relations-Bereich zunehmend an Bedeutung: Das Interesse, wie Unternehmen sich zu solchen Themen positionieren, wächst sowohl bei Geschäftspartnern als auch bei Investoren stetig. Auch der gesetzliche Rahmen, beispielsweise in puncto Lieferketten, sorgt dafür, dass derartige Themen immer wichtiger werden. Wer sich dem nicht stellt, überlässt irgendwann der Konkurrenz den Markt, sowohl in Hinblick auf innovationsfähige Produkte als auch auf loyale Mitarbeitende.
Nehmen wir – mit Bezug auf das Handwerk – zum Beispiel den viel diskutierten Fachkräftemangel, der gerade mit besonderer Härte zu spüren ist. Vor diesem Hintergrund sollten sich die Betriebe fragen, was heute als attraktive Arbeit angesehen wird und wie sie für Nachwuchskräfte interessant sein können. Also: Was führt dazu, dass junge Menschen ins Handwerk und in meinen Betrieb wollen? Ich denke, auch da gewinnen Themen wie Flexibilität und eine weniger hierarchische Führung mehr und mehr an Bedeutung. Ich würde dazu raten, ganz aktiv nachzufragen: sowohl bei denjenigen, die sich für das Handwerk oder den Betrieb entschieden haben, als auch ganz konkret bei denjenigen, die sich dagegen entschieden haben.
Wie ließen sich die Ideen des New Work auch in kleinen Betrieben umsetzen?
Nehmen wir zum Beispiel das betriebliche Gesundheitsmanagament. Das beinhaltet letztlich, dass Arbeitgeber sich mit der Frage beschäftigen, welche Fallstricke im konkreten Umfeld dafür sorgen könnten, dass Arbeitnehmende physisch oder psychisch gefährdet sind. Das Physische betrifft Aspekte der klassischen Arbeitssicherheit, für die in der Regel gesorgt ist. Bei der Psyche sieht das oft anders aus. Da wird dann gesagt, das seien Probleme, die der oder die Einzelne in den Griff kriegen müsse. Dabei sind hier Fragen zu Arbeitsbedingungen oder zu Themen wie Führung, Arbeitszeiten oder Schichtmodellen oder Teamkultur durchaus von Belang.
Vorstellbar wäre beispielsweise, in Fragekatalogen oder Workshops zu schauen, wie belastend bestimmte Situationen empfunden werden und was getan werden kann, um dies zu verbessern. Unabhängig von der Zahl der Mitarbeitenden können solche recht kleinen Ansätze für den Betrieb einen immensen Beitrag leisten. Sie vermitteln den Mitarbeitenden zugleich das Gefühl, dass sie mitreden dürfen und Teil des Ganzen sind. Zudem gibt es ein Gesetz, das auch Kleinstarbeitgeber in die Pflicht nimmt. Die sogenannte »Psychische Gefährdungsbeurteilung« (PGB) nach § 5, Absatz 3, Nr. 6 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) gilt ab einer eingestellten Person.
Auf eine solch partizipative Art dürften auch andere Themen gut abdeckbar sein. So könnten regelmäßige Feedbackschleifen etabliert werden – als eine Art «Temperaturmessung» in Sachen Betriebsklima. Es gibt ja verschiedene Gründe, dass jemand mal nicht so gut drauf ist. Auch hier kann es helfen, wenn wir mehr hinhören, wie es Menschen wirklich geht, und verstehen, was sie glücklicher und zufriedener macht. Diese Dinge findet man heraus, wenn man darüber redet und Prozesse und Abläufe entsprechend hinterfragt.
Wenn wir von Nachhaltigkeit reden, sollten wir also immer auch über Nachhaltigkeit für die Menschen nachdenken: zum Beispiel eine faire Behandlung oder gesunde Arbeitsbedingungen. Was ich im Handwerk durchaus für denkbar halte, ist eine bewusste Auseinandersetzung mit marginalisierten Gruppen, also mit den Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – bislang vom Talentpool ausgeschlossen sind. Meine Frage dazu würde lauten: Auf welche Menschen haben wir gerade keinen Zugriff und warum ist das so? Es gibt immer eine Chance, Dinge zu verändern.
Ein gutes Beispiel sind für mich Menschen mit Fluchterfahrungen. Sie sprechen die Sprache häufig noch nicht perfekt und wissen auch gar nicht, welche Handwerksberufe es in Deutschland gibt und wie sie einen Zugang dazu finden. Hier könnte das Handwerk mit einem gezielten Diversity Management nicht nur neue Fachkräfte gewinnen, sondern zugleich auch Impulse für die künftige Entwicklung der Arbeitswelt und zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Inklusion und Integration geben.
Was könnte das Handwerk tun, um junge Menschen wieder stärker zu erreichen? Welche New Work-Aspekte spielen dabei eine Rolle?
Zunächst einmal halte ich es für wichtig, die Frage zu stellen, was eigentlich junge Menschen antreibt, die für eine Ausbildung im Handwerk interessant sein könnten. Darauf aufbauend kann man dann überlegen, wie der eigene Betrieb zum Vorreiter werden könnte, um für diese Zielgruppe attraktiv zu sein.
Hinsichtlich der New Work-Faktoren halte ich Diversity in diesem Kontext für ein ganz wichtiges Thema, nicht nur hinsichtlich der Menschen mit Migrationshintergrund. Das Handwerk sollte diese Karte aktiv und offensiv spielen.
Auch das Thema Social-Media ist relevant, zum Beispiel indem man die jungen Menschen als Teil ihrer Arbeitszeit in die Social Media-Aktivitäten des Betriebes einbindet. Stichwort: Blick hinter die Kulissen. Es gibt einige Beispiele, die belegen, dass das in den entsprechenden Communities große Aufmerksamkeit schaffen und steigende Bewerberzahlen mit sich bringen kann. Ich halte das auch deshalb für eine Chance, weil es aktuell noch recht wenige Menschen sind, die sich in Social Media auf innovative Art und Weise für einen bestimmten Beruf positionieren. Ich glaube, dass man diesbezüglich mit Menschlichkeit und pfiffigen Ideen ganz gut punkten kann. Man könnte auch zeigen, wie die Chefin oder der Chef mit dem Social Media-Kanal interagieren, oder aber wie der Teamspirit gelebt wird. Dazu braucht es oft nicht die ausgefeilten Konzepte. Wichtig ist, dass das Ganze authentisch ist und das Gefühl vermittelt, dass Menschen gerne da sind, wo sie gerade sind.
Im Prinzip könnten Handwerksbetriebe ja auch Tandems bilden, zum Beispiel wenn es um Diversity geht. So könnten Mitarbeitende aus anderen Kulturen die Arbeitsweise und den Betrieb besser kennenlernen und von Beginn an aktiv in die Verantwortung einbezogen werden. Tandems eignen sich auch für generationenübergreifende Zusammenarbeit – wenn die Erfahrenen jemanden zur Seite gestellt bekommen und man voneinander lernt: sei es von der beruflichen Erfahrung, aber auch bezüglich neuer Ideen oder Techniken. Das ist übrigens auch betriebsübergreifend vorstellbar.
Ist das bereits New Work? Und wieviel davon steckt bereits im Handwerk?
Bei New Work geht es ja letztlich um nichts anderes als um eine neue Arbeitskultur. Individualität und Flexibilität spielt in vielen Handwerksbetrieben eine wichtige Rolle. Die Herausforderung ist hier, Themen wie Zufriedenheit und Engagement der Mitarbeitenden, Führungskultur, Gesundheitsvorsorge oder Kommunikation für sich weiterzuentwickeln. Das ist in kleineren Betrieben manchmal sogar leichter als in Konzernen, die oftmals wie ein großer, schwerer Tanker wirken. Wichtig ist einfach, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich und seinen Betrieb für solche Ideen zu öffnen. Wenn man dann gemeinsam und hierarchieübergreifend etwas entscheidet, sollte man es auch gemeinsam realisieren. Das braucht in der Regel nicht einmal viel Budget.
Mein Vorschlag wäre, einfach einmal damit zu beginnen, sei es mit kleinen Dingen wie der Schaffung von Orten für Rückzug und Begegnung oder anderen niedrigschwelligen Aktionen. Das kann zum Beispiel heißen, dass man sich alle zwei Wochen am Freitag drei Fragen vornimmt und neue Ideen auf den Weg bringt. Für viele mag das am Anfang neu sein, es bringt aber frischen Wind und kann Motivation, Partizipation und Teamgefühl enorm stärken. Wenn es gelingt, mehr Mitsprache zu etablieren, kommen die Ideen irgendwann von ganz alleine. Denn die meisten Menschen haben ein Gefühl dafür, was ihnen guttut, man muss sie manchmal nur dazu veranlassen, sich zu öffnen. Das kann übrigens auch in der Außenwahrnehmung sehr hilfreich sein. Denn so etwas spricht sich rum … und auch die eigentliche Arbeit geht dann sogar noch schneller und besser von der Hand.
Was braucht es dazu seitens der Inhaberinnen und Inhaber kleiner Betriebe?
Ich glaube, dass dazu eine Veränderung im Denken notwendig ist. Ich muss erkennen, dass ich als Leiterin oder Leiter eines Betriebs nicht alles besser weiß als andere und dass die Einbeziehung der Mitarbeitenden nicht nur das Betriebsklima fördert, sondern auch zu besseren Lösungen führen kann. Das bezieht sich jetzt weniger auf die handwerkliche Erfahrung, sondern mehr auf die Rahmenbedingungen im Betrieb. Letztlich geht es um die Frage, was jede und jeder Einzelne für seine Exzellenz braucht.
Ich selbst denke da in der Regel sehr systemisch. Das heißt, ich kann mir nicht anmaßen, zu wissen, wie mein Gegenüber funktioniert, da ich sein «Betriebssystem» nicht kenne und nicht weiß, welche Faktoren seine Persönlichkeit prägen. Das Einzige, was ich als gute Führungskraft machen kann, ist, die richtigen Fragen zu stellen. Ich muss also das Fragen erlernen, um herauszufinden, wann es den Mitarbeitenden gut geht und was dazu beiträgt, dass dies so ist. Es geht um clevere Fragen und das Zuhören anstelle direkter Tipps und Lösungen. Vielmehr habe ich den Ball erstmal in die andere Richtung geworfen und schaue, was passiert. Das ist aus meiner Sicht New Work.
Wie kann ich denn New Work erlebbar machen? Oder auch messen?
Das ist eine schwierige Frage, denn Kultur lässt sich nur schwer an Einzelheiten festmachen oder messen. Leitfragen zur Reflektion oder Diskussion im Team könnten aber sein: Trauen sich auch Menschen zu Beginn ihrer Karriere bei uns ihre Meinung zu äußern? Wissen wir als Team etwas über unsere Unterschiede und Lebenssituationen? Geben wir der Unterschiedlichkeit Platz? Wann haben wir zum letzten Mal etwas ganz anders gemacht oder etwas riskiert? Wann haben wir von anderen Betrieben, Branchen oder Kulturen gelernt? Was macht uns als Betrieb einzigartig? Was sind unsere Werte und haben wir eine Mission, die auch anderen bekannt ist? Wie gehen wir mit neuen Ideen um und wie mit Beschwerden? Wann geht es mal nicht um Arbeit, sondern um uns als Menschen?
Auch wenn wir Kultur und Betriebsklima nur schwer messen können, so können wir doch die Konsequenzen daraus betrachten. Nehmen Sie beispielsweise die Kündigungsquote, den Krankenstand oder die Frage, wie viele gute Bewerbungen ich bekomme. New Work kann nicht nur das Klima im Betrieb erheblich beeinflussen, es kann diesen auch nach außen sehr viel attraktiver machen und so in puncto Nachwuchsgewinnung weiterhelfen.
Wenn wir all diese Dinge beherzigen – wie könnte dann das Kleinunternehmen der Zukunft aussehen?
Ich würde das gerne auf eine persönliche Art beantworten, denn ich glaube, dass gerade kleine Handwerksbetriebe im Storytelling genau auf die Aspekte setzen sollten, die das Handwerk und den jeweiligen Betrieb besonders machen. Mir geht es manchmal so, dass ich mich in meinem Wissensjob, der sowohl psychisch als auch physisch sehr viel von mir fordert, in einen Handwerksbetrieb hineinträume. Ich habe zum Beispiel schon darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn ich Schreinerin wäre. Weil es ein klares Produkt gibt, das ich erarbeite, und weil ich sehe, wie ich mich mit der Zeit immer mehr verbessere und was ich geschafft habe.
Wenn ich mir unsere heutige Arbeitswelt anschaue, mag das zwar auf den ersten Blick komisch klingen, aber ich glaube wirklich, dass es in Zukunft immer mehr Menschen so gehen könnte wie mir, weil die klassische Büroarbeit immer abstrakter wird und man sich immer mehr entfremdet. Ich glaube, dass es eine Sehnsucht gibt, sich wieder mehr mit sich selbst und der Natur oder klaren Werkstoffen zu verbinden. Wir merken das ja in vielen Bereichen. Und das könnte auch für das Handwerk von Nutzen sein …
Nun könnte das Interesse an Handwerksberufen im Moment deutlich größer sein …
Ja, aber das könnte sich künftig auch wieder ändern. Natürlich haben wir zurzeit ein Riesenproblem mit Fachkräften und Nachwuchs, und natürlich muss sich auch im Handwerk vieles bewegen, um dem entgegenzuwirken. Ich halte das aber durchaus für machbar. Auch wenn wir das Thema mentale Gesundheit betrachten. Es könnte eine Chance für das Handwerk sein, dies auch kommunikativ in den Vordergrund zu stellen. Optimalerweise ließe sich das auch sehr gut mit Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit oder technologischen Innovationen kombinieren. Wer da mit einem klaren Konzept unterwegs ist, steigert zugleich seine Attraktivität als Arbeitgeber.