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12.10.2023 | Experteninterview mit Professor Dr. Detlef Buschfeld, Institut für Berufs-, Wirtschafts- & Sozialpädagogik der Universität zu Köln und Direktor des Forschungsinstituts für Berufsbildung im Handwerk (FBH)

Fit für die Qualifikationsbedarfe der Zukunft

Ein Gespräch mit Professor Dr. Detlef Buschfeld, Professor für Berufs- und Wirtschaftspädagogik am Institut für Berufs-, Wirtschafts- und Sozialpädagogik der Universität zu Köln und Direktor des Forschungsinstituts für Berufsbildung im Handwerk (FBH).

Der Experte

Professor Dr. Detlef Buschfeld leitet das 1951 gegründete Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk (FBH) an der Universität zu Köln. Dieses führt grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung für den Bereich der Handwerkswirtschaft durch, die die Vermittlung beruflicher Qualifikationen in und für Handwerksbetriebe, aber auch Zugangswege ins und im Handwerk untersucht. Buschfeld wurde vom Präsidenten des Deutschen Bundestags zudem als Mitglied der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ berufen.

Herr Professor Buschfeld, die Anforderungen an Betriebsinhaberinnen und -inhaber sowie Beschäftigte im Handwerk steigen aufgrund der technologischen Entwicklung und der Neuerungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Brauchen wir neue Berufe? Müssen wir die Ausbildungsordnungen und Meisterprüfungsverordnungen bald jährlich überarbeiten? Oder wie geht man im Bildungssystem damit am besten um?

Berufe sind einem stetigen Wandel unterworfen, wir arbeiten kontinuierlich an ihrer Modernisierung. Dabei steigen manche Anforderungen aufgrund der Digitalisierung, andere wechseln nur das Medium oder das Material. Hinzu kommt, dass durch die Künstliche Intelligenz (KI) einige der komplexen Anforderungen zu entfallen drohen. Vor diesem Hintergrund ist und bleibt es wichtig, dass die Berufsausbildung eine langfristig ausgerichtete Basis bietet, damit Erwerbstätige sich im Beruf den wandelnden Anforderungen stellen können. Schnellschüsse und eine jährliche Überarbeitung der Berufsbilder sind meiner Ansicht nach im Ausbildungssektor weder sinnvoll noch notwendig.

Im Weiterbildungsbereich gibt es vor allem für technologiespezifische digitale Trends einen Ansatzpunkt zur Erneuerung. Dabei halte ich es für wichtig, Eckpunkte mit technikneutralen Formulierungen zu definieren, etwa in Meisterprüfungsverordnungen. Prinzipiell aber kann ich aktuell keine bessere Alternative zur derzeitigen Regelung erkennen, die Ordnungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung von den Sozialpartnern gestalten zu lassen. Deren Sachverständige sollten und können die Frage danach, ob und wie schnell etwas geändert werden muss, beantworten. Denkbar ist, dass wir sie dabei besser unterstützen als bisher. Mir fällt jedoch auch auf, dass die Forderung danach, die Ausbildungsordnung zu modernisieren oder neue Berufe zu erfinden, vielfach von Personen kommt, die noch nie an der Erstellung einer Ordnungsgrundlage mitgewirkt haben.

Für die einzelnen Berufe und Branchen ist es interessant zu erfahren, welche Kompetenzen die Fachkräfte in der Zukunft in ihrem Handwerk brauchen. Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht geeignete Methoden, um die Aufgabe der Früherkennung von Qualifikationsbedarf zu lösen? Zum Beispiel im Handwerk?

Na ja, die Früherkennung ist essenzieller Bestandteil der Berufsbildung und das Kerngeschäft der Modernisierung von Ordnungsunterlagen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Früherkennung der Zukunft immer heikel, weil spekulativ – dennoch gibt es zahlreiche Vorschläge, wie man solche Verfahren aufsetzen kann, auch für das Handwerk.

Eine Schwierigkeit sehe ich darin, dass man Früherkennung häufig mit Technologien verbindet, aber noch nicht sagen kann, wie diese Technologien auf die Arbeitswelt einwirken. Es braucht also ein Ineinandergreifen von Technologie-Monitoring und Qualifikationsanalysen. Im Handwerk wird das durch die beiden DHI-Institute – das Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik (HPI)in Hannover und uns im FBH abgedeckt. Gemeinsam haben wir für Gewerke der Landbautechnik im InnoVET-Projekt LBT Forward ein Berufsmonitoring-System entwickelt, welches bei der Priorisierung aktueller technologischer Trends beginnt, konkrete Veränderungen im Arbeitsprozess und daraus resultierende Qualifikationsbedarfe identifiziert, die am Ende in die (Weiter-) Entwicklung beruflicher Bildungsangebote einfließen.

Das Ganze funktioniert aber nicht alleine. Am Ende müssen die Entstehungs- und Abwägungsgeschichten von Ordnungsverfahren erzählt und berücksichtigt werden. Die Kette von der frühen Trenderkennung bis zur Überprüfung von Kompetenzen in Prüfungen kann schnell Bruchstellen aufweisen. Im Bereich der Ordnungsverfahren gibt es viel ehrenamtliche Expertise, was auch gut ist. In den wenigsten Fällen jedoch ist es möglich, über dieses System kurzfristige und vielfach auch kurzlebige Bedarfe vorherzusehen oder auf diese zu reagieren.

Sie geben mit ihrem Forschungsinstitut Empfehlungen zur Unterstützung des Berufsbildungssystem im Handwerk. Wir haben den Eindruck, dass in den letzten Jahren verstärkt disruptive Technologien auftauchen. Welche Tipps haben Sie, um Entscheidungsträger und Beschäftigte in den Betrieben – bei aktuell guter Auslastung und gleichzeitigem Fachkräftemangel – zu erreichen? Funktioniert die Weiterbildung wie bisher oder sind auch andere Lösungen notwendig?

Aus meiner Sicht ist die Weiterbildung für derartige Fragen zunächst einmal ein besserer Adressat als die Ausbildung. Es ist zugleich aber keine neue Erkenntnis, dass viele gute und passende Angebote der Weiterbildung von den „Kümmerern“ im Betrieb nicht angenommen werden. Das liegt daran, dass einerseits die betriebliche Arbeits-Überlastung gestemmt werden muss, zum anderen lassen sich die Formen der Weiterbildung – etwa abends mit langen Fahrten oder am Wochenende – nicht mit der allgemeinen Lebenssituation verbinden. Wir haben hier also ein strukturelles Problem, das wir nur durch neue und andere Formate lösen können. Aus meiner Sicht werden sich auf dem Weiterbildungsmarkt immer mehr hybride Formen etablieren – nicht nur von „traditionellen“ Bildungsanbietern des Handwerks. Über das Thema Seiteneinstieg wird dabei sicherlich auch der Aspekt des kurzfristigen und spezifischen Fachkräftebedarfs eine Rolle spielen.

Ich glaube, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren sehr viel tun wird. Was sich am Ende durchsetzen und bewähren wird, werden die Bildungsanbieter Schritt für Schritt realisieren. Der Schlüssel für mich ist, ob es gelingt, die Weiterbildungsbereitschaft, aber auch die Formen der Weiterbildung, so anzupassen, dass die Kümmerer um die disruptiven Technologien in den Handwerksunternehmen dies auch vorantreiben können. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Bildung ist sicherlich ein Thema für die Entscheidungsträger, das offensiv unter dem Gesichtspunkt von New Work eingebracht werden muss – auch und gerade wenn wir über die Vier-Tage-Woche diskutieren.

In einem Forschungsprojekt gehen Sie der Frage nach, wie Handlungskompetenz zur Nutzung der "digitalen Vernetzung von Wertschöpfungsketten“ in der Ausbildung vermittelt werden können. Würden Sie kurz erläutern, wie das funktionieren kann?

Hinter dem Wortungetüm steckt ein anderes: die Konnektivität in den Arbeitsprozessen. Wir stellen zunehmend fest, dass sich Wertschöpfungsketten zwischen den Gewerken ergeben, beispielsweise wenn es um die Klimawende oder die digitale Transformation in den Betrieben geht. Das erhöht die Notwendigkeit, dass verschiedene Gewerke „Hand in Hand“ arbeiten und wir nicht mehr nur ein einzelnes Gewerk betrachten. Wir kennen das aus dem Baubereich, wo es die Methode des Building Information Modelling (BIM) gibt. Sie stellt die unterschiedlichen Merkmale einer Anlage digital dar und bildet auf Basis eines Pools relevanter Daten eine wichtige Entscheidungsgrundlage während des gesamten Bauprozesses. Die Vernetzung zwischen den Gewerken und die Tatsache, dass das eine Gewerk eine Rahmenbedingung für das andere schafft, ist in vielen Handwerksbetrieben noch nicht ausreichend verinnerlicht.

In der Ausbildung müssen wir Konnektivität als Herausforderung begreifen, die bestimmte Kompetenzen einfordert, und sie zum Beispiel durch gewerkeübergreifende Projekte in der überbetrieblichen Ausbildung abbilden. Dabei müssen wir viel stärker als bisher als „Gewerke-Team“ arbeiten. Das ist insofern neu, da wir bislang im Handwerk meist denken, dass wir einen Kurs für ein Gewerk machen. Manche sagen an dieser Stelle auch, „dann lass uns doch einen neuen Beruf schaffen, der alles vermischt.“ Das sehe ich anders: Aus meiner Sicht brauchen wir keine neuen Berufe, sondern mehr Flexibilität und Vernetzung, damit wir zuverlässiger in der Kette sein können.

In der Dualen Erstausbildung spielt die Berufsschule eine sehr wichtige Rolle. Das Schulsystem greift technologische Veränderungen für den Bildungsbetrieb oft  langsamer auf als Unternehmen. Wie schaffen wir es nach Ihrer Ansicht, dass die Lehrkräfte die sich schneller ändernde Betriebsrealität aufgrund der technologischen Entwicklung in den Fachunterricht einbringen?

Curricular haben wir in den Berufsschulen seit der Einführung der Lernfelder im Jahr 1996 eigentlich gute Voraussetzungen. De facto ist es also so, dass wir uns in der beruflichen Bildung um die ganzheitliche Vermittlung von Handlungskompetenzen kümmern. Dabei gibt es natürlich Unterschiede zwischen den Schulen, wobei manche Berufsschule mir auch mal schneller zu sein scheint als das Gros der Handwerksbetriebe in der Region.

Mir persönlich ist es in diesem Kontext wichtig, dass die Berufsschulen bzw. die regionalen Schulträger gemeinsam vor Ort mit der Wirtschaft und ihren Vertretungen einen Blick dafür entwickeln, auf welche Technologien sie in welchen Ausbildungsberufen setzen müssen und diese dann auch „dauerhaft“ und grundlegend nutzen. Nach meinen Erfahrungen sind es vielfach innovativ aufgestellte Fachschulen, die die Aufgabe des innerschulischen Innovationstreibers übernehmen. Diese würde ich auf jeden Fall mit ins Boot holen. Auch die überbetrieblichen Bildungszentren sind für die Frage der Zusammenarbeit prädestiniert. Voraussetzung ist aber, dass nicht die Einzelinteressen der Akteure im Mittelpunkt stehen, sondern die regionalen Anforderungen und deren Umsetzung in Form einer langfristigen Stabilisierung der Berufsbildung und einzelner Berufe in der Region.