16.10.2023 | Experteninterview mit Professor Dr. Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer HANDWERK.NRW e.V., und Geschäftsführer Wirtschaftspolitik und Gewerbeförderung, Handwerkskammer Düsseldorf
Wie betriebliche Innovation im Handwerk funktioniert
Nicht nur große Unternehmen mit eigener Forschungsabteilung, sondern auch Handwerksbetriebe können Impulsgeber für innovative Techniken und Lösungen sein. Das bringt nicht nur den eigenen Betrieb weiter, sondern oftmals die ganze Branche oder sogar andere Wirtschaftsbereiche. Dabei gibt es jedoch kein Patentrezept für Innovationen.
Der Experte
Professor Dr. Hans Jörg Hennecke ist seit 2019 Hauptgeschäftsführer von HANDWERK.NRW. Er wirkte aktiv bei der Konzeption des Innovationsdialogs Handwerk in NRW mit.
Herr Prof. Dr. Hennecke, was bedeutet für Sie persönlich Innovation?
Innovation ist all das, was dem Kunden einen größeren Nutzen bringt. Das ist die Kernfunktion des Unternehmers und der Unternehmerin. Das können einfache Lösungen sein oder die Erfindung einer völlig neuen Technologie. Die Bandbreite hinsichtlich der technologischen Qualität und ökonomischen Verwertbarkeit von Innovation ist groß. Davon zu unterschieden sind Erfindungen. Die meisten von ihnen finden nicht den Weg in den Markt. Gründe dafür können sein, dass der Nutzen fehlt oder dieser nicht ausreichend vermittelt wird. Denkbar ist auch, dass die Markthürden zu hoch sind.
Warum ist betriebliche Innovation im Handwerk wichtig?
Innovation bedeutet die Schaffung von neuem Wissen oder die bessere Nutzung von verstreutem Wissen. Es ist der entscheidende Vorteil einer Marktwirtschaft, dass sie darin erfolgreicher ist als eine Planwirtschaft. Natürlich gibt es auch wichtige Beispiele dafür, dass der Staat als Förderer und Nachfrager Innovation steuern und stimulieren kann, etwa in der Luft- und Raumfahrt. Das mittelständische Handwerk hingegen steht für dezentrale und spontane Innovationsprozesse. Dabei geht es um konkrete Problemlösungen für Kunden, die sich nicht politisch planen lassen. Aber natürlich hat die Innovationsraft auch für das anbietende Unternehmen einen Nutzen durch höheren Gewinn. Sonst gäbe es ja keinen Anreiz, immer wieder Neues zu erproben.
Wie läuft das ab und welche Strukturen braucht es dazu?
Innovation braucht die Freiheit des Unternehmens, Lösungen ausprobieren und anbieten zu können. Die Unternehmerinnen und Unternehmer haben das Wissen über Bedarfe und Problemlagen, sie haben ein ökonomisches Interesse daran, dass ihre Kunden zufrieden sind. Das ist ihre Rolle, im Großen wie im Kleinen. Es zeigt gleichermaßen, dass Innovation entscheidend davon abhängt, ob der Markt als Markt des Wissens genutzt werden kann oder ob es diesbezüglich Hemmnisse gibt. Wenn diese Suchbewegungen eingeschränkt werden – zum Beispiel durch staatliche Technologieverbote oder durch Förderanreize, die in eine bestimmte Richtung lenken, aber auch durch unvollständigen Rechtsschutz oder wettbewerbsrechtliche Hürden – kann das den Innovationsprozess hemmen.
Können Sie uns ein Beispiel für Innovation aus dem Handwerk nennen?
Das können die Orgelbauerin oder der Orgelbauer sein, die für die Restauration eines historischen Instruments ein neues Bauteil entwickeln. Ein anderes Beispiel sind Metallbauerinnen und Metallbauer, die eine praktikable Arbeitsbühne oder eine Hebevorrichtung konstruieren. Innovativ ist aber auch, wenn man eine besonders pfiffige Marketingidee hat und neue oder bisher unbefriedigte Kundenwünsche erfüllt. Oft sind es alltägliche Dinge, die uns weiterbringen. Aus dieser Kultur der Wuseligkeit und Kreativität des Handwerks sind viele große Industrieunternehmen hervorgegangen, die für »Made in Germany« stehen.
Gibt es Themenfelder der Innovation im Handwerk und welche sind das?
Ein wichtiges Feld ist die Digitalisierung. Diese ist allerdings kein Selbstzweck, sondern muss dazu dienen, Produktionsprozesse effizienter zu erledigen oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie wird auch in Themenfelder wie Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft einzahlen und insbesondere ein notwendiger Hebel sein, um Kooperationen mit anderen Unternehmen zu ermöglichen. Durch die Digitalisierung oder künftig auch die Künstliche Intelligenz (KI) wird es in Zukunft immer häufiger nicht mehr genügen, bestehende Geschäftsmodelle zu optimieren. Unternehmen werden in diesem hochdynamischen Umfeld an einen Punkt kommen, an dem sie sich grundlegend und strategisch neu aufstellen müssen.
Wenn ich ein nachhaltiges Haus bauen und neue Werkstoffe einsetzen will, muss ich mich in Planungsprozesse einbringen und mit anderen Akteuren intensiv zusammenarbeiten. Das kann den Durchbruch für neue technologische Lösungen bedeuten. Letztlich geht es dabei um die Qualität von Innovationen: Ein Unternehmen kann sich eine Zeit lang im Kontinuum bewegen. Digitalisierung macht es aber wahrscheinlicher und dringender, dass irgendwann der Punkt kommt, wo bloße Verbesserungen des Gewohnten nicht mehr ausreichen und neue Lösungen und Prozesse erforderlich sind. Wenn ich mit meinem Produkt oder meiner Dienstleistung Teil eines größeren Netzes bin, lautet die entscheidende Frage, ob ich den Transfer schaffe und in der Lage bin, durch Zugriff auf die entscheidenden Daten den Prozess mitzusteuern. Das wird nicht jedes Unternehmen leisten wollen oder können. Zugleich wird es aber auch Unternehmen geben, die aus dem Handwerk herauswachsen und dabei eine neue Qualität abbilden. Wir erleben ja schon, dass sich sehr komplexe Unternehmen herausbilden, in denen das Handwerkliche zwar noch Kern des Geschäfts ist, aber auch größere Teile der Wertschöpfungskette integriert werden.
Wie kann der Spagat zwischen der Verpflichtung zu traditionellen Werten und der Notwendigkeit von Innovation im Handwerk geschafft werden?
Natürlich bleibt in vielen Märkten – beispielsweise Keramik – auch Platz für traditionelle Produkte, die nicht innovativ sind und allenfalls qualitativ oder ästhetisch verfeinert werden. Tradition und das Wissen um überlieferte Bearbeitungstechniken können aber durchaus ein Motor für Innovation sein. Die Fähigkeit, mit dem Grundprodukt umgehen zu können, trägt dazu bei, neue Lösungen zu entwickeln. Es wird immer Unternehmen geben, die überzeugende und tragfähige Geschäftsmodelle haben, ohne dabei »einen Sprung nach vorne« machen zu wollen und sich grundlegend zu verändern. Für Innovation kommt es sehr auf den Zeithorizont an, in dem ein Unternehmen agiert. Wo eine neue Generation bereitsteht, die den Betrieb weiterführen will, werden auch Innovationen eher eingefordert. Wo Innovationsbereitschaft fehlt, scheitert oft die Übergabe an die nächste Generation.
Wie lassen sich denn Innovationskerne und Treiber von Innovationen identifizieren?
Innovative Unternehmen erkennen Sie daran, welche Technologien sie anbieten und nutzen, welche Qualifikationen sie besitzen und welche Aufträge sie bearbeiten können. Eines ist dabei klar: Innovative Unternehmen werden für Auszubildende, Fachkräfte und Unternehmernachwuchs attraktiver sein als diejenigen, die weniger beweglich sind.
Gibt es auch hemmende Faktoren? Und wenn ja, wie können wir diesen begegnen?
Ja, die gibt es. Unternehmen brauchen, um etwas zu unternehmen, Freiraum. Man darf ihnen nicht reinreden oder sie kleinteilig in bestimmte Richtungen lenken, sondern muss ihnen den Rücken freihalten. Das gilt für steuerliche Belastungen, das gilt für bürokratische Belastungen. Eine entscheidende Rolle spielt zudem die Konstanz der Wirtschaftspolitik, denn sie schafft den Rahmen, in dem sich Unternehmen innovativ bewegen können.
Wie können innovationsstarke Betriebe gestärkt und die Dynamik weniger innovationsstarker Betriebe erhöht werden?
Der Staat setzt mit einer Reihe von Programmen Impulse und unterstützt den Transfer von Grundlagenforschung in marktreife Produkte. Im kleinbetrieblichen Handwerk ist es grundlegend von Bedeutung, dass die Qualifikationskultur unterstützt wird und dass die Betriebe ein kreatives Netzwerk der Innovationsberatung nutzen können. Ebenso wichtig ist es, dass die Unternehmen gute Finanzierungsbedingungen finden. Im Handwerk ist dafür der wichtigste Partner eine Hausbank, die auch bei möglichen Förderprogrammen den Überblick hat.
Welche Fördermöglichkeiten und -konzepte gibt es und wie kann ich diese nutzen?
Am einfachsten sind Abschreibungsmöglichkeiten oder andere Formen der steuerlichen Entlastung. Ansonsten brauchen Handwerksbetriebe kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Die Innovations- und Digitalisierungsberaterinnen und -berater der Kammern und Fachverbände des Handwerks leisten hier gute Arbeit und können auch als Lotsen bei der Fördermittelberatung dienen. Interessant ist ein neuer Ansatz des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), an dem auch die HWK Düsseldorf beteiligt ist: Der Clou bei »Make Innovation Handwerk« ist, dass kooperative Innovationsprozesse mit mehreren Unternehmen angeregt werden. So können im Austausch mit anderen Innovationen entwickelt und marktreif gemacht werden.
Von Bedeutung ist auch, dass die wissenschaftliche Forschung mittelständische Innovationskultur besser versteht und unterstützt. Wissenschaftliche Forschung muss sich stärker mit mittelstandsrelevanten Fragestellungen befassen und daraus Impulse für Innovationen generieren. Wichtig scheint mir dabei, dass wir die Kluft zwischen beruflicher und akademischer Bildung überwinden, denn Innovation braucht beide Denkwelten. Innovationskulturen wachsen vor allem dann, wenn wir die berufliche Bildung mitnehmen und die Forschung auch die Arbeitsrealität mittelständischer Betriebe vor Augen hat. Hier gilt es Lösungen zu finden, die Innovation handwerksgerecht vorantreiben. Zugleich müssen wir verstehen, wie neue Technologien am Markt eingesetzt und akzeptiert werden können. Nur wenn Forschung, Hersteller und Handwerk eng zusammenarbeiten, kann das Innovationspotenzial optimal ausgeschöpft werden.
Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur für die Innovationskraft eines Betriebes?
Innovation hängt wesentlich von der Kreativität von Menschen ab. Die Frage ist, wie sie neues Wissen hervorbringen oder bereits vorhandenes Wissen besser kombinieren und für bestimmte Zwecke nutzbar machen. Deshalb sollten Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Umgebung bieten, in der sie sich engagieren und entfalten können, aber auch viel Flexibilität haben. Kreativ wird man, wenn man einen Sinn in dem sieht, was man tut. Das Schöne ist: Das ist auch in kleinen Unternehmen möglich. Wenn sie das nach außen glaubwürdig und erkennbar zeigen, werden sie auch für die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv.